Wissenschaftliches und publizistisches Crossover
Letzte Woche konnte ich wieder bei einer Radtour zeigen, wie am Bodensee alles zusammenhängt: die Eisenbahn und die Industrialisierung, die Landschaft und die Schlösser, die Natur- und die Sakrallandschaft. Die Gruppe Versicherungsleute aus dem Raum Mainz (bis Ludwigshafen) war davon ganz angetan – auch von meiner Erklärung des „Versicherungsprinzips“ bei meinen Tageswanderungen. (s.u.)
Als Negativbeispiel habe ich auch hier den pensionierten Kunstgeschichte-Professor zitiert, der vor 25 Jahren bei einer Radtour zu kunsthistorisch interessanten Kirchen östlich von Friedrichshafen vor der Fahrt durch das Eriskircher Ried gesagt hat, wir hätten keine Zeit, die gerade jetzt (noch) blühenden Sibirischen Schwertlilien anzuschauen, wir müssten pünktlich bei der nächsten Kirche sein – das kommt das immer gut an. Das Pendant dazu, einen Naturkundler ohne Sinn für Kulturbauten („Kirchtürme braucht man nur zur Orientierung.“), habe ich natürlich auch schon erlebt! Bei mir gibt es immer beides!
Die Interdisziplinären Zusammenhänge sind für mich schon lange selbstverständlich.
Die erste Begegnung mit „wissenschaftlichem Crossover“ hatte ich in meiner frühen Jugend: Meine Eltern waren seit den 50er Jahren mit einem französischen Professor befreundet, der an der Universität Nantes nicht nur zwischen zwei Fächern forschte, sondern gleich im Grenzbereich von dreien: Mathematik, Jura und Philosophie. Das hat mich schon damals fasziniert, auch wenn ich nicht genau wusste, was er wirklich tat. Dabei ist die Schnittmenge der drei Fächer offensichtlich: die Logik!
Seitdem haben interdisziplinäre, grenzüberschreitende Fragestellungen fast immer meine Interessen bestimmt: An der Universität Konstanz, in den 60er Jahren als „Reformuniversität“ gegründet, konnte ich interdisziplinäres Studieren (und Forschen) unter besten Bedingungen erleben und praktizieren: Alle Fachbereiche waren „unter einem Dach“, es gab eine zentrale Universitätsbibliothek, also keine Institutsbibliotheken wie anderswo, und es gab fächerübergreifende Studiengänge, wie z.B. die Verwaltungswissenschaft, als Kombination von Politik, Soziologie, Jura und Volkswirtschaft.
Mein Studium an der Uni Konstanz waren Sprach- und Politikwissenschaften, ich war also in der sozialwissenschaftlichen und der geisteswissenschaftlichen Fakultät. (Dabei müsste für mich die Linguistik/Sprachwissenschaft sowieso zu den Sozialwissenschaften gezählt werden, denn die Sprache ist ja ein „fait social“, ein sozialer Tatbestand und soziales Handeln.)
Die beiden Fächer habe ich nicht jedes für sich studiert, sondern da schon das Verbindende gesucht:
Zu meinen Studienthemen gehörten dann (neben den fachspezifischen) auch fächerübergreifende Fragestellungen wie Sprachenpolitik und Sprachpolitik, also Politik über die einzelnen Sprachen, die gesprochen werden, und Politik über die Sprache, also wie gesprochen wird. Also konkret: Kann durch politische Maßnahmen eine Sprache „ausgerottet“ werden oder ihr Aussterben verhindert werden? Kann durch eine bestimmte politische Sprache eine Wirtschafts- oder Energiepolitik (besser) durchgesetzt werden?
Mit einer anderen Fächerkombination bin ich 1998 zu einem Lehrauftrag an die Uni zurückgekehrt: „Sprache und Geographie“, wobei ich thematisch weit über die klassische Dialektgeographie hinausgegangen bin, bis zu geographischen Schimpfwörtern wie „Fischkopf“ und dem sprachlichen Selbstverständnis der Bauern und Händler auf dem Wochenmarkt.
Über das Thema Brücken bin ich 2007 zum Radtouren-Programm des Konstanzer „Kultur-Rädle“ gekommen. Seitdem biete ich da fast jedes Jahr die „Thur-Brücken-Tour“ an. Brücken sind vielleicht das interdisziplinärste meiner Themen: Architektur und Baugeschichte, Verkehr und Wirtschaft, Ästhetik und Symbolik.
Bei den Buchprojekten ist es ähnlich: Ein Kirchenführer mit kunsthistorischen Informationen für ein entsprechend gebildetes Publikum wäre für die „Laien“ ebenso langweilig wie für mich als Autor. Wenn ich aber – wie bei dem aktuell etwas schwierigen Langzeitprojekt – die „halbe Stadtgeschichte“ reinpacke, kann es auch für ein breiteres Publikum noch spannend werden. Und das vor sechs Jahren erschienene Buch über die wichtigsten Schweizer Berge hat in seinem Sachregister ganz verschiedene Themen wie Architektur, Bergbahn, Gastronomie, Grenzen, Kirche/Kapelle, Mythen, Sprache(n), Wasser. Bei den nächsten Projekten wird es ähnlich sein.
Interdisziplinäre Zusammenhänge sind gut inhaltlich erklärbar, noch anschaulicher kann es durch eine grafische Darstellung werden, wie im Anhang des 1981 erschienenen Büchleins „De statu corruptionis. Entscheidungslogische Einführungen in die Höhere Amoralität“, mit der die Beziehungen von Theologie und Ökonomie mit einer weiteren Wissenschaft visualisiert werden. Vielleicht könnte das auch das am Anfang erwähnte Beispiel aus Frankreich illustrieren.
Wirklich passend wäre die Grafik erst, wenn sich die Felder der drei Wissenschaften überschneiden – dann aber nicht als Kästen, sondern als Kreise!
aus: „De statu corruptionis“
Der Ort der interdisziplinären Studien: die Uni Konstanz im Grünen
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Das Versicherungsprinzip besagt, dass man eine Versicherung braucht, wenn das Ereignis zwar sehr selten ist, der Schaden aber dann so hoch, dass sie sich lohnt. Bei einer Tageswanderung habe ich deshalb immer eine Zweithose dabei, für den Fall, dass ich ausrutsche und im Matsch lande – oder noch seltener, aber dramatischer: in einem Kuhfladen!