Die politische Aktualität erinnert mich an einen Artikel, der vor genau 21 Jahren erschienen ist: eine Glosse über den Polyglott-Reiseführer Barcelona, die Ende April 1998 in der Frankfurter Rundschau erschienen ist. Er hatte auf dem unteren Drittel die spanische Flagge und vorne drin auf zwei Seiten den üblichen „Langenscheidt Mini-Dolmetscher“ mit den wichtigsten Wörtern und Sätzen – ohne einen Hinweis darauf, dass diese nicht auf Spanisch, sondern auf Katalanisch sind! Damit könnten sich die Reisenden sprachlich ganz schön im falschen Film fühlen …
(Text siehe unten)
Katalanisch hatte ich Jahre vorher im Rahmen meines Studiums der
Romanistik gelernt, dabei habe ich mich auch intensiv mit der
Sprachenpolitik verschiedener Länder beschäftigt, natürlich vor allem
mit Frankreich mit seinen Minderheiten an den Rändern (im Westen, Süden
und Norden), aber auch mit den komplizierten Verhältnissen in Algerien
und der nahen Schweiz.
Schon damals hat mich die Frage interessiert,
warum es in einem Staat wie Algerien nach seiner Unabhängigkeit
(Befreiung?) eine ähnlich repressive Sprachenpolitik praktiziert wie
Frankreich früher gegenüber den Bretonen und anderen Minderheiten: Den
Berbern und Tuareg wurde der Fortschritt gebracht, in dem ihre Sprachen
kaum Platz hatten. Und heute kann man in Katalonien (mit sehr
weitgehender Autonomie innerhalb Spaniens) kaum ohne Kenntnisse des
Katalanischen am öffentlichen Leben teilnehmen.
(Glosse über den „Polyglott-Reiseführer Barcelona“)
Welche Sprache spricht man eigentlich in Barcelona?
Mit einem Polyglott-Reiseführer in der Hand weiß man immer genau, in welchem Land man sich befindet. Die Nationalflagge weht über den Umschlag, seit dem „Relaunch“ von 1994 ergänzt durch ein besonders typisches Bildmotiv aus dem bereisten Land. Nur bei wenigen grenzüberschreitenden Titeln wie Bodensee, Irland, und Zypern wurde vorsichtigerweise darauf verzichtet. Letztes Jahr ist die Fahne um einen knappen Zentimeter schmaler geworden, weil am rechten Rand auf den „Langenscheidt Mini-Dolmetscher“ hingewiesen wird, der auf einem heraustrennbaren Blatt vor der ersten Seite eingeklebt ist.
Lassen wir einmal einen deutschen Touristen nach „Barcelona“, an der „Costa Brava / Katalonien“ (jeweils ein Titel) reisen. Im Flugzeug schlägt er eines der beiden Büchlein auf und versucht, mit dem „Mini-Dolmetscher“ die paar Brocken Spanisch zu rekapitulieren, die er in seinem letzten Urlaub an der Costa del Sol in den 80er Jahren gelernt hat. Gegrüßt wird also vormittags „Bon dia“, nachmittags „Bona tarda“ und spät am Abend „Bona nit“. Es klingt irgendwie anders als damals, aber bei uns grüßt man ja auch nicht mehr so wie vor fünfzig Jahren – und Spanien hat ja überhaupt in den Jahren seit der Franco-Diktatur eine rasante Entwicklung durchgemacht. Aber der kleine Dolmetscher geht weiter mit Wörtern, die ihm überhaupt nicht mehr Spanisch vorkommen: Gestern soll „ahir“ heißen, morgen „demà“? „Mañana“ sagen sie doch, wenn etwas am nächsten Tag oder irgendwann später erledigt wird.
Verunsichert klappt der Tourist das Buch zu, sieht wieder die spanische Flagge, schlägt es von hinten her auf und sieht eine Werbeseite von Langenscheidt für den gelben „Sprachführer Spanisch“ mit dem Hinweis: „Es sind die kleinen Dinge, die dafür sorgen, daß (sic!) Ihr Urlaub ein echter Erfolg wird.“ In Spanien wird also doch immer noch Spanisch gesprochen.
Er wendet sich dem touristischen Inhalt des Reiseführers mit den vielen bunten Bildchen zu und stößt schließlich auf Seite 12 auf einen Kasten mit der Überschrift „Eine Stadt, zwei Sprachen“, in dem die Reisenden darauf vorbereitet werden, dass sie sich in manchen Situationen sprachlich „wie im falschen Film“ fühlen werden. Nachdem er diese Erfahrung schon mit dem „Mini-Dolmetscher“ gemacht hat, findet er endlich eine Erklärung für die merkwürdigen Ausdrücke: Das ist gar kein Spanisch, sondern Katalanisch! Am Ende wird er aber beruhigt: „Im Gespräch mit Fremden schalten die meisten Barceloneser bereitwillig um auf castellano.“
In seinem Urlaub konnte sich unser Tourist dann tatsächlich problemlos mit seinen alten Spanisch-Kenntnissen verständigen. Aber er hat nicht nur Gefallen an der Stadt Barcelona gefunden, sondern auch an der merkwürdig klingenden Sprache. Nach der Rückkehr fragt er in seiner Buchhandlung nach einem Langenscheidt-Sprachführer Katalanisch oder wenigstens einem kleinen Wörterbuch. Fehlanzeige! Der Verlag mit dem umfangreichen gelben Programm bietet unter der Rubrik „Katalanisch“ nur ein „Handwörterbuch Katalanisch – Deutsch“ (laut Prospekt „ideal für Studium und Beruf“), zum Preis von fast sieben Polyglott-Reiseführern.