In den nächsten Monaten habe ich mehrere Schweiz-Projekte auf dem Tisch, was zu mehr Vermutungen oder Fragen führen könnte: Ich gelte ja schon als Schweiz-Experte, aber bin ich auch „Schweiz-Fan“ oder gar „helvetophil“, wie es vor drei Jahren vermutet wurde?
Wie bei der Frankophilie antworte ich üblicherweise auf solche Fragen mit: „Nein, dafür kenne ich das Land zu gut!“ Von der Frankophilie distanziere ich mich oft mit der Definition: Frankophil sind die Leute, die nicht nur von französischem Käse und Wein schwärmen, sondern auch von französischem Brot – ideal wäre doch die Kombination der 300 Käsesorten mit unseren 300 Brotsorten. Auch politisch war ich früher mal „frankophiler“ als heute, aber das wäre ein Thema für sich.
Im Gegensatz zur Frankophilie oder Germanophilie ist der Begriff der „Helvetophilie“ eher unüblich, in Wikipedia gibt es ihn gar nicht, und eine Google-Suche bringt gerade mal „ungefähr 287 Ergebnisse“. Bei der Schweiz kenne ich auch das politische System gut genug, um die Idealisierungen und Projektionen zu hinterfragen und sie gelegentlich geradezurücken: Entgegen den Vorstellungen vieler Deutscher können die Schweizer natürlich nicht über alles direkt und selbst entscheiden, weil die meisten Gesetze eben dochim Parlament beschlossen werden, und sie können erst recht nicht ihre Regierung abwählen oder in die Opposition schicken. Einen echten Regierungswechsel, wie es in parlamentarischen Demokratien üblich ist, gab es eigentlich noch nie. Das Schweizer System hat aber andere Vorzüge.
Bei dem Thema habe ich zum Vergleich eine frühe Veröffentlichung aus meinem Regal der Gesammelten Werke gezogen, in der ich einer „Philie“ meiner Jugend nachgeforscht habe. Die Idealisierung eines Landes kann oft schon zwanghafte Züge annehmen, wenn man dort das positive Gegenstück der Defizite des eigenen Landes sieht und alles Negative ausblendet. Ein besonderer Fall einer übersteigerten Zuneigung ist das speziell deutsche Interesse an Südfrankreich bzw. Okzitanien, mit dem ich mich in den 80er Jahren intensiver beschäftigt habe. Daraus wurde dann der Artikel „Dix années d’occitanophilie, un essai autobiographique“ (erschienen 1985). Dabei habe ich das Wort „Okzitanophilie“ selbst erfunden, nachdem diese bisher noch niemand so explizit thematisiert hatte.
Es ging um die Frage, warum seit dem 19. Jahrhundert so viele Deutsche in die Provence, in den Languedoc und andere Regionen des sĂĽdlichen Drittels von Frankreich reisen, was sie dort suchen und zu finden glauben.
Bei den aktuellen Schweiz-Projekten geht es um die Schweizer Folklore, um Zugreisen in der Ostschweiz und um die Schweizer Besonderheiten. Dafür muss man das Land nicht „lieben“, aber man muss es gut kennen und mit einem differenzierten Blick an die Sache gehen. So kann man dann zum „Schweiz-Versteher“ werden, aber das ist inzwischen auch schon etwas belastet, weil der „Versteher“ heute vor allem im Zusammenhang mit Putin vorkommt.
Den „Schweiz-Experten“ habe ich vor vielen Jahren von Schweiz Tourismus bekommen, die Qualifikation wurde aber nicht geprüft. Bisher hängt die Auszeichnung nur an meiner Türe.
Und wenn ich mich als „helvetophil“ darstellen will, muss ich nur meinen Landi-Rucksack auf den RĂĽcken und die Greyerzer-Kappe auf den Kopf setzen …