WĂ€hrend die Schulgeneration das Ende des Schuljahrs erwartet, schaue ich zurĂŒck auf das Ende meiner Hochschulzeit: Vor 40 Jahren wurde ich zum Magister â im Sommersemester 1984 hatte ich die MagisterprĂŒfung in Sprachwissenschaft.
Die ein paar Monate vorher abgeschlossene Magisterarbeit behandelte aktuelle Themen der politischen Sprache, aber sie war schon damals nach dem Prinzip âAlles hat zwei Seitenâ, also nicht einfach die Sprache der Energiepolitik in Frankreich, sondern diese im Vergleich mit der in Deutschland â und das noch im Kontrast mit der Sprache der Ăkologiebewegung in den beiden LĂ€ndern.
Mit dem Titel der Arbeit habe ich mich schon damals an einem journalistischen Prinzip/Modell orientiert: Plakativer Titel â informativer Untertitel. So hieĂ der Titel: âHarte Energie und sanfte Spracheâ, weil es damals darum ging, wie eine problematische Energiequelle âschöngeredetâ wird. Der Untertitel war dann so, dass die Linguisten genau wussten, um was es ging: âUntersuchungen zum Sprachgebrauch der Energiepolitik und der Ăkologiebewegung in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreichâ.
Die zwei der Arbeit vorangestellten Zitate waren nicht von Politikern oder Linguisten, sondern von dem Chansonnier Georges Brassens und von dem Lyriker Paul ValĂ©ry: âWennâs drauf ankommt, habe ich lieber Petroleumlampen und werde nicht beschissen.â â âIn der ideologischen Auseinandersetzung, in der Propaganda werden die Wörter weniger wegen ihrer Bedeutung als wegen ihrer Macht benutzt.â
Da ich schon damals ausfĂŒhrliche FuĂnoten (oder gar seitenlange Anmerkungsapparate hinten im Werk) fĂŒr ein zentrales Element des wissenschaftlichen Bluffs gehalten habe, hatte meine Magisterarbeit nur eine einzige FuĂnote (wie auch dieser Artikel!), und die war fast eine halbe Seite lang. Sie hatte den Zweck, die AbkĂŒrzung âBRDâ als legitim und sinnvoll zu erklĂ€ren, was in den 80er Jahren noch nicht selbstverstĂ€ndlich war. Zitatnachweise waren in Klammern im Text: Autor Jahr, Seite â mehr braucht es nicht. Im Verzeichnis der zitierten Zeitungen waren auch hier schon Medien aus der Schweiz: der BrĂŒckenbauer der Migros und der Thurgauer Volksfreund.
Zu den wesentlichen, von mir herausgearbeiteten Unterschieden gehörten folgende:
– In Frankreich werden auch fĂŒr Projekte im Bereich der Energie symboltrĂ€chtige Namen eingefĂŒhrt: Rapsodie (aus rapide und sodium), PhĂ©nix und Super-PhĂ©nix (Schneller BrĂŒter). Kreativ war aber auch die Ăkologiebewegung mit Zeitschriftennamen wie Don Quichotte und Le vent se lĂ©ve (bekannter Vers aus einem Gedicht von Paul ValĂ©ry!).
– Die französischen Institutionen der Energiebranche waren âerfolgreicherâ mit der Ersetzung von atomique durch nuclĂ©aire â in Deutschland ist Kernenergie / Atomenergie immer noch ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der AtomenergieanhĂ€nger und -gegner.
– In Deutschland waren es eher die gezielt eingefĂŒhrten Euphemismen wie die Friedliche Nutzung der Kernenergie, der Störfall (fĂŒr Atomunfall) und der Entsorgungspark.
Den letzten Absatz des Schlusskapitels finde ich heute noch bemerkenswert:
âEbenso wie der Energieverbrauch hĂ€ngt auch der Sprachgebrauch von den Entscheidungen und vom bewussten Leben der einzelnen Individuen ab. Sprachkritik ist eine Aufgabe und SprachverĂ€nderung eine Möglichkeit fĂŒr alle. Die Förderung der sprachkritischen FĂ€higkeiten ist eine Aufgabe fĂŒr die Schule und damit auch fĂŒr die Linguistik.â
Zwei Jahre spĂ€ter habe ich fĂŒr die Linguistik-Zeitschrift mit dem schönen Apronym (spezielle Form des Akronyms) OBST* eine 20 Seiten lange Kurzfassung geschrieben â auch mit einem Schluss, der mir heute noch gefĂ€llt:
âDamit der Titel nicht nur ein schön formulierter Titel ist: Unter einer ,sanften Spracheâ verstehe ich mehr als nur den parteilich akzentuierten Sprachgebrauch mit ,sanften Konnotationenâ, sondern den sprachlichen Ausdruck menschlicherer Formen der Kommunikation und des sozialen Handelns. Vielleicht wandelt sich auch manches in dieser Richtung.â
Plakat der unabhĂ€ngig sozialistischen Gewerkschaft CFDT: âNein zum âAlles auf die Nuklearenergie setzenâ â Ja zu den neuen Energien!
Titel der Magisterarbeit
Anfang des Aufsatzes in OBST
FuĂnote:
* OBST = OsnabrĂŒcker BeitrĂ€ge zur Sprachtheorie â eine Zeitschrift, die eigentlich mehr Themen aus der Angewandten Sprachwissenschaft hat